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AutorenbildReinhard Straumann

Wer solche Freunde hat...

Grosse Ereignisse werfen bekanntlich ihre Schatten voraus. In den USA, wo das laufende Jahr Wahljahr ist, beobachten wir das exemplarisch. Wo unsere Wahrnehmung aber in aller Regel scheitert, ist bei der Frage, inwieweit wir Europäer schon jetzt in den Sog der amerikanischen Innenpolitik des Positionsbezugs von Joe Biden und Donald Trump geraten sind. Im Windschatten unserer hausgemachten europäischen politischen Wirren hat das nämlich längst stattgefunden. Bloss hat bei uns kaum jemand davon Kenntnis genommen – was natürlich am Schweigen der europäischen Leitmedien in dieser Thematik liegt, die auch hierin die USA schonen, soweit das irgend geht.

Das Thema der illegalen Migration, das Europa umtreibt, sorgt auch in den USA für höchste Emotionalität. Aus den mittelamerikanischen Staaten strömen täglich Tausende illegaler Migranten über die mexikanisch-texanische Grenze in die USA. Das war, wir erinnern uns, bereits vor acht Jahren eines der grossen Wahlkampfthemen, das insbesondere von Donald Trump bewirtschaftet wurde mit dem Versprechen, eine Mauer zwischen Mexiko und den USA (also dem Grenzstaat Texas) zu errichten. Eine Mauer notabene, welche Mexiko – ob der Südanstösser der USA das wolle oder nicht – selbst finanzieren würde. Tatsächlich hat Trump nach seinem Wahlsieg 2016 einige Anstrengungen in Sachen Mauerbau unternommen; das Thema blieb allerdings eine der zahlreichen Unvollendeten seiner Präsidentschaft. Amtsnachfolger Biden versprach vier Jahre danach das Blaue vom Himmel, um, kaum stand sein Wahlsieg fest, die ganze Problematik seiner Vizepräsidentin Kamala Harris zu übertragen, die daran grossartig gescheitert und seither in der Versenkung verschwunden ist.

So viele Menschen wie noch nie wurden in Bidens Amtszeit von den texanischen Grenzschützern aufgegriffen, was im Grenzland für massive Beunruhigung sorgt (Zunahme von einer Million Menschen im Jahr 2019 auf 2,5 Millionen 2023). Verständlich, dass mittlerweile, angesichts des neuerlichen Wahlkampfs, die Thematik von beiden Seiten wiederum zur Chefsache erklärt worden ist.

Biden versucht dabei, zwei Fliegen mit einem Schlag zu treffen. Er verknüpft sein Steckenpferd, die Kriege in Europa und im Nahen Osten, mit der illegalen Migration. Er hat dem Kongress ein Paket vorgelegt, das 60 Milliarden Dollar für die Ukraine vorsieht, 14 Milliarden für den Grenzschutz (nebst massiven gesetzgeberischen Verschärfungen) und weitere 14 Milliarden für Israel. Die Sache schien auf gutem Weg, bis die Maga-Republikaner von Trumps Gnaden («Make America great again») sie zu hintertreiben begannen – Trump will einen Erfolg Bidens um jeden Preis verhindern, um sich selbst nicht eines seiner griffigsten Wahlkampfthemen zu berauben.

Die gegenwärtige Perspektivenlosigkeit wiederum führt in Texas, diesem Öl- und Wildweststaat, der sich um die Direktiven aus Washington kaum kümmert, zu zunehmender Unruhe. Gouverneur Greg Abbott hat vorsorglich seine Nationalgarde in Bereitschaft versetzt, an die Grenze beordert und dort zur Verlegung von Stacheldraht angehalten. Diese Einmischung in bundesstaatliche Kompetenzen konnte Washington nicht hinnehmen. Präsident Biden hat das Oberste Gericht angerufen und ganz knapp (5:4) Recht erhalten. Eine militärische Eskalation zwischen der Bundesarmee und der texanischen Nationalgarde konnte dadurch gerade noch abgewendet werden. Abbott hatte sich ganz unverhohlen der politischen Rhetorik der Konföderierten aus dem amerikanischen Bürgerkrieg befleissigt.

Um es nicht zum Äussersten kommen zu lassen, hat sich Biden auch ziviler politischer Mittel bedient. Er hat zu jener Keule gegriffen, die Texas am massivsten trifft: Der Präsident hat (unter dem vorgeschützten Argument des Umweltschutzes) jegliche weitere Exporte von Flüssiggas verboten. Jetzt lenkte das Öl- und Gas-Regiment des Grenzstaates ein. Biden entging der massivsten innenpolitischen Krise, die er im Wahljahr kaum hätte überstehen können.

Was alles hat das mit Europa zu tun? Mehr, als man ahnen würde – und einmal mehr, wenn es um amerikanisch-europäische Abhängigkeiten geht, betreffend Deutschland. Nachdem die Regierung der Bundesrepublik vor zwei Jahren zusehen musste, wie die USA Nordstream 2 torpedierten, und zahlreiche weitere Attacken Washingtons auf die deutsche Wirtschaft klaglos geschluckt hat, folgt jetzt der nächste Tiefschlag. Kanzler Olaf Scholz und Wirtschaftsminister Robert Habeck müssen hilflos mitansehen, wie Bidens Exportverbot von Flüssiggas sie ein weiteres Mal hintergeht.

Was haben sie für ihre nibelungenhafte Loyalität erhalten, nachdem ihnen der Bezug von russischem Erdgas untersagt worden war? Das Versprechen der Freundschaft. Die USA würden immer und unverbrüchlich auf der Seite der transatlantischen Freundschaft zu Deutschland stehen. Und sie würden ihrer Verpflichtung für die Energiesicherheit Deutschlands durch garantierte Lieferungen von Flüssiggas jederzeit nachkommen. Tatsächlich hat daraufhin Robert Habeck sofort Auftrag gegeben, massive Investitionen in den Aufbau von Flüssiggasterminals zu tätigen. Und jetzt das.

Oje, lieber Olaf und lieber Robertli, ihr treuherzigen deutschen Ampelmänner! Ihr habt doch tatsächlich den Amis das Freundschaftsversprechen abgenommen. Habt ihr denn gar nichts aus der Geschichte gelernt? Habt ihr nicht verstanden, dass die Amerikaner keine Freunde kennen, weil sie immer nur auf ihren Vorsprung an Macht fixiert sind? Wie geht ihr jetzt mit dem neuerlichen Teuerungsschub um, der dem westdeutschen Energiebezug bevorsteht?

Irgendwann ist auch in der Politik der Punkt erreicht, wo Blauäugigkeit nicht mehr als Entschuldigung für Fehlleistungen dienen kann. Wer solche Freunde hat wie Deutschland, der braucht keine Feinde mehr. Irgendwann, liebe Ampel, müsstet ihr es merken.

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