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Schamlose Umverteilung

Autorenbild: Reinhard StraumannReinhard Straumann

Aktualisiert: vor 5 Tagen

800 Milliarden Euro. Soviel hat Ursula von der Leyen dieser Tage für Aufrüstung ausgerufen, ohne die Militärhilfe für die Ukraine. Friedrich Merz, vormals BlackRock-Chef Deutschland und zukünftig Deutschland-Chef überhaupt, sieht für die Bundesrepublik zusätzlich 400 Milliarden vor, nachdem er sich einen Wahlkampf lang standhaft geweigert hatte, die Schuldenbremse aufzuweichen… aber was geht mich mein Geschwätz von gestern an. Wenn wir überschlagen, wieviel die EU der Ukraine an Waffenhilfe schon geliefert hat und liefern wird und um wieviel die EU-Mitglieder (fast alle in der NATO) ihren Wehretat bereits erhöht haben – auf welche Summe addiert sich das Ganze? Auf zwei oder drei Billionen oder mehr?

Schätzen wir vorsichtig: zweieinhalb Billionen Euro, also 2500 Milliarden. Bei 746 Millionen Einwohnern macht das ungefähr 3500 Euro pro Kopf, vom Kleinkind bis zum Tattergreis, vom Migranten zum Ausländerhasser, von Lappland bis Gibraltar. 3500 Euro von jedem und jeder, die wir der Rüstungsindustrie in den Rachen werfen. 3500, die infolgedessen nicht in die Gesundheitsvorsorge fliessen, nicht in die Ausbildung der Kinder, nicht in die verrottende Infrastruktur, nicht in die soziale Wohlfahrt, sondern dafür, verpulvert zu werden. Pro Kopf sind das zwölf Prozent des BIP europaweit. In Staaten wie Polen, Ungarn, dem Baltikum sind es zwanzig Prozent. Jeder fünfte erwirtschaftete Euro fliesst in die Rüstung.

Da Europa vornehmlich aus Demokratien besteht, ist es nicht unerheblich, den Menschen einsichtig zu machen, dass diese Ausgaben notwendig seien. Aber das ist nicht einfach. Die Erklärung, die seit drei Jahren angeboten wird, könnte dürftiger nicht sein. Sie besteht aus einem Wort: Putin. Oder, um mit der deutschen Chefdiplomatin der letzten Jahre zu sprechen: Putin! Putin! Putin! und noch einmal Putin!

Aber mit so viel Phantasielosigkeit kommt Frau Baerbock nicht einmal bei der eigenen Visagistin durch. Wie erst soll ein Olivenbauer aus Umbrien bereit sein, für Putin auf seine Altersrente zu verzichten oder ein Hartzi aus Wuppertal (ja, heute heisst das anders)? Oder auf die Ausbildung ihrer Kinder? Oder eine Alleinerziehende irgendwo in den Banlieues von Paris auf ihre Sozialbeiträge? Das ist unmöglich, wenn es nicht gelingt, diesen Menschen den Bären aufzubinden, der Krieg gegen Putin sei auch ihr Krieg. Und dies wiederum geht nur, wenn sie an eine Bedrohung durch Putin glauben. Deshalb dieses gebetsmühlenartige Herunterleiern von Schreckensszenarien durch Kriegsgurgeln wie Baerbock, Kiesewetter oder Hofreiter: Nach der Ukraine kommt Polen dran, dann Brandenburg. Und in fünf Jahren steht Putin in Hamburg. Ein Top-Experte der totalitären Angstmacherei, nämlich Hermann Göring, der Fliegergeneral des Gröfaz, sagte einst: „Natürlich, das einfache Volk will keinen Krieg. Aber schliesslich sind es die Führer eines Landes, die die Politik bestimmen, und es ist immer leicht, das Volk zum Mitmachen zu bringen. Man braucht nichts zu tun, als dem Volk zu sagen, es würde angegriffen, und den Pazifisten ihren Mangel an Patriotismus vorzuwerfen und zu behaupten, sie brächten das Land in Gefahr. Diese Methode funktioniert immer.“

Es könnte einem übel werden angesichts aller Lügen, die uns jeden Tag aufgetischt werden. Putin würde als nächstes den Westen angreifen. Geht’s noch? Mit welchen Soldaten, wenn er heute schon nordkoreanische Söldner anheuern muss? Hätte sich irgendeiner dieser Politschwadronierer je mit der demografischen Situation Russlands befasst, dann müsste er vortreten und schweigen. Russland hat eine Fläche von 17 Millionen Quadratkilometern (das Doppelte der USA) und 144 Millionen Einwohner (zwei Fünftel der USA). Die Geburtenziffer Russlands liegt bei 1.4 Geburten pro Frau. Wer kommt auf den sinnfreien Gedanken, Russland könnte auch nur annähernd in der Lage sein, einen NATO-Staat anzugreifen?

Je bornierter in Europa die Krisengipfel zusammengetrommelt werden, damit wider alle Vernunft am Krieg festgehalten werden kann, desto absurder sind die Narrative, die die Regierungen ihren Gesellschaften auftischen. Demokratie würde im Donbass verteidigt… so ein Schwachsinn. Das Argument ist nicht besser geworden seit damals, als dasselbe für den Mekong oder den Hindukusch galt. Jetzt soll es die Ukraine sein, das korrupteste Land Europas, das von einem delegitimierten Komödianten regiert wird, der ohne mit der Wimper zu zucken Woche für Woche Tausende seiner jungen Landsleute vor die Kanonen wirft.

Putin wollte zu Kriegsbeginn exakt etwas: die Ukraine von der NATO fernhalten. Wenn er inzwischen mehr will (nämlich die mehrheitlich russischen Gebiete im Donbass), dann ist das allein der Fehler des Westens. Dessen Strategen wussten exakt, dass die NATO-Mitgliedschaft Kiews die rote Linie darstellt, bei welcher Putin ernst machen würde. Denn sonst fiele Russlands einziger Zugang zu einem warmen Meer unter die Kontrolle der NATO, also der USA. Deshalb tat er, wozu der Westen ihn lockte: er hat die Ukraine angegriffen. Ein klarer Bruch des Völkerrechts, unbestritten, weshalb der Westen sich moralisch im Vorteil wähnt und dies untermauert mit Narrativen, die in keinem TV-Talk hinterfragt werden dürfen.

Aber der moralische Vorsprung ist wacklig. Je länger desto weniger ist nachvollziehbar, dass die Regierungen von Macron, Starmer, Merz, von der Leyen etc. trotz der Initiative von Donald Trump unbelehrbar bleiben. Einen Plan über die Absicht hinaus, dass der Krieg weitergehen soll, haben sie ohnehin nicht.

Wer nicht zu den Freunden des begleiteten Denkens zählt, sondern hierin lieber selbständig bleibt, erkennt, was gespielt wird. Er sieht, wie wenige es sind, die profitieren, und wer: ein paar Oligarchen, nämlich die Rüstung und die amerikanischen Öl- und Gaskonzerne. Deren Shareholder verdienen sich dumm und dämlich am Geld, das sie dem Olivenbauern in Umbrien oder dem Wuppertaler Hartzi oder der Alleinerzieherin aus der Tasche ziehen. Nie ist Geld schamloser umverteilt worden als im Zeichen dieses Krieges. Und dieses Schlamassel soll den Kriegsinvestoren BlackRock, Vanguard, City Group, Rheinmetall etc. ohne ihr Dazutun als Geschenk Putins in den Schoss gefallen sein? Für wie blöd haltet ihr uns?

 
 
 

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