Eine Katastophe, Amerikas Freund zu sein!
- Reinhard Straumann
- vor 12 Minuten
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Ist Donald Trump je zur Schule gegangen? Falls ja, dann ist er im Geschichts- und Wirtschaftskundeunterricht im Zeitalter des Merkantilismus stehen geblieben. Wir erinnern uns: Das war die Wirtschaftsauffassung zu Zeiten des Absolutismus. Eine Nation importiert günstig Rohstoffe aus ihren Kolonien (solche zu besitzen, ist Voraussetzung), verarbeitet sie zu teuren Fertigwaren und begründet solchermassen ihren nationalen Wohlstand auf einer positiven Handelsbilanz. Hohe Importzölle für Fertigwaren aus dem Ausland schützen die eigene Exportwirtschaft. Zusätzliche positive Nebeneffekte im Inland sind vielfältig: Für den Transport der Rohstoffe aus den Kolonien ins Mutterland ist der Aufbau einer eigenen Handelsflotte erforderlich, die zusätzlich durch eine nationale Kriegsmarine geschützt werden muss. Grosse Handels- und Marinehäfen sind anzulegen; ein Verkehrsnetz im Inland muss aufgebaut werden, um die – ebenfalls entstehenden – Industriezentren bedienen zu können und von dort die Verteilung zu gewährleisten. Ein hoher Kapitalbedarf, beispielsweise für die Reedereien und weitere relevante Investoren, begünstigt das Entstehen von Banken und Versicherungen, also des tertiären Sektors. Und eine Flut von gesetzlichen Regelungen, die zu erlassen und zu überwachen sind, fördert ein autoritäres, sich top-down durchsetzendes Staatsgebilde. Und all das lässt sich mit der positiven Handelsbilanz bestens finanzieren.
Auf diese Weise begründete Grossbritannien durch den Aufbau der East India Company ab dem 16. Jahrhundert und durch eine ganze Flotte von halbstaatlichen Freibeutern seine Weltherrschaft, die bis zu den Weltkriegen im 20. Jahrhundert andauerte und durch den Verlust der Kolonien sichtbar wurde. Auch die britischen Kolonien in Nordamerika, aus welchen die USA hervorgegangen sind, als es das Mutterland mit der steuerlichen Ausbeutung der Kolonien übertrieb, sind Ableger der East India Company (unter der Namensvariante Virginia Company). Eigentlich müssten Donald Trump und seine Administration sich auskennen.
Das tun sie auch: Sie sind Weltmeister einer Makroökonomie für Dummies. Zölle von 20 Prozent für die EU, 31 Prozent für die Schweiz und, u.a., 34 Prozent für China bedeuten für sie den Anbruch des Goldenen Zeitalters. Der französische König Louis XIV. konnte sich so sein Versailles finanzieren (ohne aber einer unvermeidbaren Staatsverschuldung zu entgehen, die letztlich das Ende des Ancien Régimes bedeutete). Wenn man sieht, mit welchem Wohnintérieur sich Trump sowohl in seiner Residenz im Trump Tower wie auch im Anwesen Mar-a-Lago in Florida umgibt, kommt man schnell zum Schluss, dass die Projektion auf den Sonnenkönig eine von Trumps wesentlichen Raisons d’être sein muss. Und da er die ganze Rest-Welt ausserhalb der USA als sein Kolonialreich versteht, das sich den Wünschen der USA bitteschön zu fügen hat, hält er auch die Rahmenbedingungen für erfüllt. Le monde, c’est moi.
Die Revolutionen in den USA und Frankreich waren das formelle Ende des Merkantilismus. Das bürgerliche Zeitalter, das mit den Revolutionen angebrochen war, erforderte fortschrittlichere Lösungen. Solche, die dem Bürger erlaubten, zu investieren und zu reinvestieren. Einfach einer oligarchischen Klasse das Geld für ihre Luxuswirtschaft bereitzustellen, widersprach mehr und mehr der bürgerlichen Schwarmintelligenz, die sich in einer Flut von Ideen und Initiativen losbrach. Der «Wohlstand der Nationen», so schrieb der schottische Ökonom Adam Smith bereits 1776, im Gründungsjahr der USA, ist mitnichten eine Folge der positiven Handelsbilanz per se, sondern der Bereitstellung von geschützten Handelsräumen auf dem freien Markt, dem Begegnungsort von Angebot und Nachfrage. Dort wirke eine «unsichtbare Hand», die alle offenen Fragen er ihrer Lösung zutreibe.
Wir wollen hier nicht über Gedeih und Verderb des Wirtschaftsliberalismus und des Freihandels spekulieren. Marx sah in ihm den Übergang von einer bürgerlichen in eine sozialistische Ordnung, unvermeidbar, weil das Kardinalprinzip des Freihandels, das Wesen der Konkurrenz, nach und nach aus dem Spiel genommen wurde. Die allmählich entstehenden Konzerne schützen sich vor Preisdruck, durch Kartelle und durch Bildungen von Monopolen. Vor zehn Jahren nannte FOCUS die Zahl von 35 Konzernen, die die Welt beherrschen. Mehr Monopolkapitalismus ist schwer vorstellbar. Es ist offenkundig, dass, auf der Suche nach einer gerechteren Ökonomie, hier die Hebel anzusetzen wären.
Aber da hatte Trump im Geschichtsunterricht schon längst abgeschaltet. Oder spielte mit seinem Tischnachbarn Monopoly unter den Bänken seiner edlen Privatschule und zog ihn über den Tisch. Trump geht es einzig und allein um sich selbst und um die Klasse von seinesgleichen. Überdies sind ökonomische Lösungen, die ausserhalb dessen liegen, was er intellektuell erfassen kann, sind nicht sein Ding. Und hier schlägt man bekanntlich bald an Grenzen. Deshalb sind wir ja in Geschichte auch im 18. Jahrhundert stehen geblieben.
Während Donald Trump seine Sauen durchs Dorf treibt, findet in Europa Krisengipfel über Krisengipfel statt unter dem Motto: Dumm gelaufen! Was machen wir jetzt? Die jetzigen Macher Europas geben eine geradezu jämmerliche Figur ab gegenüber der Gründergeneration um Churchill, De Gaulle, Adenauer. Man hat sich aus der (russischen) Energieabhängigkeit in die (US-)Abhängigkeit zerren lassen, notabene mit Gewalt, und schaut zu, wie Hunderttausende Arbeitsplätze zuschanden gemacht werden – und immer noch bezeichnet man die, die diesen Vernichtungsprozess steuern und antreiben, als Freunde?
Der wesentliche Fehler Europas im Umgang mit Donald Trump liegt darin, dass man die früheren US-Administrationen (bis zurück zu Kennedy) tatsächlich als Freunde empfunden hatte und nicht sah, wem man sich an den Hals geworfen hatte: einer Kultur, von der Henri Kissinger sagte: «Es ist schlecht der Feind der USA zu sein. Aber es ist eine Katastrophe, ihr Freund zu sein.» Das gilt nicht erst seit Trump. Mit seiner Stil- und Tonlage reibt er Europa vor Augen, dass die alten transatlantischen Seilschaften endlich ausgedient haben.
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