Die CVP ist daran, im Zuge einer angestrebten Fusion mit der BDP ihr Branding neu aufzusetzen. Und sie ist deshalb drauf und dran, das C aus ihrem Namen zu streichen. Im Kampf um ein paar Promille Wähler-anteil erscheinen die Adjektive „christlich“ oder „christlichdemokratisch“ der Parteiführung als Bürde. Sie sind nicht mehr chic oder modern genug. Offensichtlich ist 150 Jahre nach Nietzsche dessen Diktum, Gott sei tot, in der Partei der Mitte angekommen. Auf der Basis einer im Frühling 2020 durchgeführten Meinungsumfrage legt Gerhard Pfister, Parteipräsident, denjenigen Teilen seiner Wählerschaft nahe, die noch für christliche Werte einstehen: Das hohe C, das war einmal. Wir haben fertig.
Das Missverständnis, dem die Parteispitze aufsitzt, ist ein weit verbreitetes. Es ist die Konsequenz der Identitätslosigkeit aller Zeitgeistsurfer, immer und in jedem Fall dem Konformitätsdruck jeder Mode nachgeben zu müssen. Identität hat etwas mit der Kongruenz von Inhalt und Form zu tun. Identität – und damit Authentizität – haben jene Institutionen, deren Erscheinungsbilder so kongruent mit ihren Inhalten übereinstimmen, dass sie nicht saisonal ihr Image anpassen müssen. Denn die Anpassung des Images führt entweder zu einer Abweichung vom Inhalt, oder der Inhalt wird gleichzeitig mit dem Erscheinungsbild mit-verändert. Im Fall der CVP heisst das: Entweder man hält die christlichen Werte in der Parteipolitik weiterhin hoch, dann soll man konsequenterweise das C stehen lassen. Oder man rückt von diesen Werten ab, dann bekenne man sich dementsprechend. Dann wissen wir alle, woran wir sind.
Die christlichen Kirchen haben über Jahrhunderte als Hüter der Moral gewaltet, und sie haben in dieser Aufgabe über Jahrhunderte jämmerlich versagt. Sie haben die Menschen entmündigt und insbesondere die Frauen unterdrückt, sie haben sich schadlos gehalten an den Privilegien, die ihnen die weltliche Macht für diesen Betrug überlassen hat, sie haben die Waffen gesegnet vor allen Kriegen, sie haben Aber-tausende von Kindern missbraucht in ihrer verlogenen Sexualmoral. Aber all diese Katastrophen der Kirchen ändern nichts an der Unverrückbarkeit von fundamentalen Prinzipien der christlichen Lehre wie etwa der Demut, der Gerechtigkeits- oder der Friedenssuche. Auch wenn Gott tot ist, bleiben diese Werte bestehen.
Insofern bleiben sie auch bestehen, wenn die CVP das C aus ihrem Namen kippt. Sich dazu als Partei aber nicht mehr bekennen zu wollen, ist ein moralisches Fiasko. In einer Zeit, in welcher wir mehr moralische Orientierung brauchen als je, ist ein spekulatives Abwägen zwischen dem C und ein paar Wählerstimmen nichts als eine Peinlichkeit. Entscheidet man falsch, dann werden sich populistische Kräfte des C’s bemächtigen, wie in Brasilien, wo der katholische Militarist, notorische Coronaleugner und korrupte Regenwaldvernichter Bolsonaro von evangelikalen Kräften im Amt gehalten wird. Oder wie in den USA, wo Trumps letzte Hoffnung auf seine Wiederwahl bei den Bigotterien der Freikirchen liegt. Zahlreiche seiner Kabinettsmitglieder – unter anderem Vizepräsident Pence und Aussenminister Pompeo – gehören solchen Gruppierungen an, deren politische Agenda sich auf die Umerziehung von Homosexuellen und das Radikalverbot von Abtreibungen beschränkt. In Ansätzen kann auch in der Schweiz beobachtet werden, dass sich Freikirchen vermehrt politisch engagieren. Will ihnen die VP der Mitte das C über-lassen?
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