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AutorenbildReinhard Straumann

Das Chaos ins Absurde steigern

Donald Trump hat, knapp vor seiner zweiten Inauguration, den Wunschzettel abgegeben. Er nutzte seine Pressekonferenz vom Dreikönigstag, um vor aller Welt seine Bestellung abzugeben. Er hat sich leicht im Datum vergriffen: vor Weihnachten wäre passender gewesen. Denn vor Weihnachten sieht man es der Infantilität nach, wenn sie mit den Wünschen etwas über die Realität hinausschiesst. Es bleibt ja immer noch im Ermessen des Christkinds, was es erfüllen will.  Oder, amerikanisch, von Santa Claus. Von ihm hätte Trump gerne das Folgende, mittels Rentierschlitten franko Weisses Haus:

Erstens die Vereinigung – immerhin brauchte er nicht den Begriff Annexion – der USA mit Kanada (wobei er in dieser Frage durchaus bereit sei, Druck aufzusetzen). Zweitens den Panama-Kanal (wobei er keine Garantie abgeben könne, ob er nicht militärische Mittel einsetzen wolle). Drittens Grönland (Klammerbemerkung identisch mit jener betreffend Panama). Viertens von den NATO-Mitgliedstaaten fünf Prozent des BIP für Verteidigungsausgaben (beim letzten Amtsantritt waren es noch zwei Prozent).

Noch etwas? Nein, ist schon alles. Immerhin kriege die Welt auch etwas zurück, nämlich das Goldene Zeitalter der USA. Davon werden sicher alle Verbündeten profitieren. Geht es den USA gut, geht es allen gut.

Es überrascht uns nicht. Wir wussten seit den Wahlen im November, dass die USA in den nächsten vier Jahren von einer Figur regiert wird, die (die saloppe Ausdrucksweise ist unvermeidlich) nicht alle Tassen im Schrank hat. Trump versteht die Welt so, wie er sie im Rahmen seiner Möglichkeiten eben verstehen kann; mehr geht nicht. Das eigentlich Tragische dabei ist weniger er selbst als der Umstand, dass seine Überbietungsmentalität tatsächlich ein Echo findet. Die Bundesrepublik Deutschland, die vor der von Olaf Scholz angesagten Zeitenwende ein einziges Prozent für Verteidigung ausgab, ist – gemäss dem grünen Wirtschaftsminister Habeck – offenbar bereit, über dreieinhalb Prozent zu diskutieren. Das wären, gemäss aktuellen Stand, 140 Milliarden Euro. Weiss Robert Habeck (der definitiv keine Ahnung hat, wie er diese 140 Milliarden pro Jahr finanzieren würde), was er da sagt? Wie weit ist die aktuelle Regierung Deutschlands bereit, ihren Staat und ihre Bevölkerung ins Elend zu reiten, bloss um einer völlig irrationalen Vasallenmentalität gerecht zu werden?

Längst hat der Krieg in der Ukraine offenbart, wie es um die westliche Welt steht. Die USA, ihre Führungsmacht, ist auf dem absteigenden Ast. Die Globalisierung, Zauberwort aller Neoliberalen, hat dazu geführt, dass die USA – und mit ihnen die gesamte „erste“ Welt von früher – ihre industrielle Produktion nach Ost- und Südostasien verlagert haben. Konsequenz: Der Westen hat sich freiwillig deindustrialisiert (was derzeit in Deutschland beklagt wird, ist nur noch der letzte Akt dieses Prozesses, der bereits in seiner finalen Phase angelangt ist). Die Staaten des Westens (und insbesondere die USA) konsumieren über jedes Mass mehr, als sie zu Hause produzieren. Die Handelsbilanzdefizite sind gigantisch; sie türmen sich zu ganzen Gebirgen von Staatsverschuldungen auf, über die kein Regierungsmensch hinaussehen kann. Es handelt sich dabei um einen irreversiblen Prozess; zu viel Know-how ist verloren gegangen, wie man was weltmarkt-konkurrenzfähig produzieren könnte (das grosse Geld des Westens wird nur noch mit Geld verdient, abseits der Realwirtschaft). Heute ist das gesamte Abendland – das nicht müde wird, Selenski Unterstützung bis ans Ende aller Tage zu schwören – nicht in der Lage, der Ukraine ausreichend Munition zu liefern, die erforderlich wäre, um dem russischen Vordringen standzuhalten (obwohl Russland nur mit halber Kraft marschiert). Was soll es also, dass Donald Trump von allen NATO-Staaten eine Verzweieinhalbfachung ihrer Verteidigungsausgaben fordert, wenn die westliche Rüstungsindustrie meilenweit davon entfernt ist, auch nur einem Bruchteil der Auftragslage entsprechen zu können?

Der Westen steigt ab, angeführt von den USA. Die Handelsbilanzdefizite und die Staatsverschuldungen sind nur ein Argument und ein Indikator; es gibt eine ganze Reihe weiterer Gründe. Beispielsweise die Demografie: die westlichen Gesellschaften reproduzieren sich nur noch defizitär (mit, je nach Staat, ca. 1,5 Kindern pro Frau), und der Versuch, das entstehende Manko mit Migration auszugleichen, scheitert jeden Tag. Oder der Verlust der westlichen Werte: wenn Regierungen Gut und Böse danach beurteilen, wer den Völkermord begeht. Oder die Blindheit der westlichen Presse, die immer noch so tut, als sei es (im Ukraine-Krieg) eine Selbstverständlichkeit, die westliche Haltung einzunehmen – während die Hälfte der Menschheit in den BRICS-Staaten versammelt ist und auf der Seite Putins steht. Oder das Demokratiedefizit: wenn sich die Bevölkerungen von den herrschenden Eliten nicht mehr vertreten fühlen und diese das Volk verachten. Oder das Demokratiedefizit zum zweiten: wenn die Intellektuellen des Westens für ihre politischen Strukturen längst den Begriff der Postdemokratie eingeführt haben, ihre Regierungen aber Kriege mit der Begründung führen, sie müssten die Demokratie verteidigen. (Belege für sämtliche in diesem Abschnitt aufgeführten Behauptungen liegen à gogo vor und können jederzeit geliefert werden.)

Welches unsere Perspektiven für das vor uns liegende Jahr sind, lässt sich nicht absehen. Es ist eine Black Box und eine Wundertüte zugleich. Gewiss ist, dass der von den USA angeführte Abstieg des Westens nicht vonstattengehen wird, ohne dessen heftigste Zuckungen, um seinem Schicksal auszuweichen. Trump lässt mit seinem Gelaber vom Golden Age grüssen, ebenso Friedrich Merz, in dessen Person der Ukraine-Investor BlackRock bald einen Mann am Tisch der G7 haben wird. Macht Trump auch nur in einem Punkt ernst, so wird er das gegenwärtige Chaos ins Absurde steigern. Das wird den USA aber nicht dienen, sondern sie erst recht in den Strudel reissen, den der Irre im Weissen Haus anderen zudenkt.

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